Dialogue on the Threshold

Schwellendialog
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28 December 2021

The strange mine workings of the soul

. . . der Seelen wunderliches Bergwerk . . . Felsen waren da und wesenlose Wälder. Brücken über Leeres . . . 

. . . the strange mine workings of souls . . . Cliffs were there and spectral forests. Bridges over vacancies . . .

  

'"Orpheus. Euridice. Hermes" (...) has the quality of an uneasy dream, in which you gain something extremely valuable, only to lose it the very next moment. Within the limitation of one's sleeping time, and perhaps precisely because of that, such dreams are excruciatingly convincing in their details; a poem is also limited by definition. Both imply compression, except that a poem, being a conscious act, is not a paraphrase or a metaphor for reality but a reality itself. (...) a poem generates rather than reflects. So if a poem addresses a mythological subject, this amounts to a reality scrutinising its own history.'

Joseph Brodsky, 'Ninety Years Later' (Torö, Sweden, 1994), On Grief and Reason: Essays (1995)

02 August 2010

Lebens-Attrappen


To our grandparents, a ‘house’, a ‘well’, a familiar steeple, even their own clothes, their cloak, still meant infinitely more, were still infinitely more intimate; almost everything was a vessel in which they found something human and added something human to its store. Now, over here, there are encroaching from America empty, trivial things, sham-things, dummies of life... A house, in the American understanding of the word, an American apple or a vine from over there, have nothing in common with the house, the fruit, the grape into which the hope and reflection of our forefathers had entered... The life-infused, genuinely lived things, the things known to us, are waning and can no longer be replaced. We are perhaps the last still to know such things. Upon us rests the responsibility to preserve not only their memory (that would be too little and unreliable), but also their human and laral value (‘laral’ in the sense of the household deities [the Lares]).

Rainer Maria Rilke, letter to Witold von Hulewicz, 13 November 1925

Noch für unsere Großeltern war ein ,Haus‘, ein ,Brunnen‘, ein ihnen vertrauter Turm, ja ihr eigenes Kleid, ihr Mantel: unendlich mehr, unendlich vertaulicher; fast jedes Ding ein Gefäß, in dem sie Menschliches vorfanden und Menschliches hinzusparten. Nun drängen, von Amerika her, leere gleichgültige Dinge herüber, Schein-Dinge, Lebens-Attrappen... Ein Haus, im amerikanischen Verstande, ein amerikanischer Apfel oder eine dortige Rebe, hat nichts gemeinsam mit dem Haus, der Frucht, der Traube, in die Hoffnung und Nachdenklichkeit unserer Vorväter eingegangen war... Die belebten, die erlebten, die uns mitwissenden Dinge gehen zur Neige und können nicht mehr ersetzt werden. Wir sind vielleicht die Letzten, die noch solche Dinge gekannt haben. Auf uns ruht die Verantwortung, nicht allein ihr Andenken zu erhalten (das wäre wenig und unzuverlässig), sondern ihren humanen und larischen Wert (,Larisch‘, im Sinne der Haus-Gottheiten.)



Photographs: Sergej Mixailovich Prokudin-Gorskij, Russia 1909-1912 (Library of Congress)

24 November 2009

The bees of the invisible



Wir sind die Bienen des Unsichtbaren. Nous boutinons éperdument le miel du visible, pour l'accumuler dans la grande ruche d'or de l'invisble.

Rainer Maria Rilke to his Polish translator, Witold von Hulewicz,
13 November 1925 (Briefe aus Muzot, 1921-26)


The bee-swarm of the dead drones and comes upwards

Sophocles, fr. 795, Porphyr. de antro nymph. c. 18
(August Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, 2nd edition, Leipzig: Teubner, 1889, p. 317)



16 November 2009

Stimmung


Da sind Tage, wo alles um einen licht ist, leicht, kaum angegeben in der hellen Luft und doch deutlich. Das Nächste schon hat Töne der Ferne, ist weggenommen und nur gezeigt, nicht hergereicht; und was Beziehung zur Weite hat: der Fluß, die Brücken, die langen Straßen und die Plätze, die sich verschwenden, das hat diese Weite eingenommen hinter sich, ist auf ihr gemalt wie auf Seide. Es ist nicht zu sagen, was dann ein lichtgrüner Wagen sein kann auf dem Pont-neuf oder irgendein Rot, das nicht zu halten ist, oder auch nur ein Plakat an der Feuermauer einer perlgrauen Häusergruppe. Alles ist vereinfacht, auf einige richtige, helle plans gebracht wie das Gesicht in einem Manetschen Bildnis. Und nichts ist gering und überflüssig. Die Bouquinisten am Quai tun ihre Kästen auf, und das frische oder vernutzte Gelb der Bücher, das violette Braun der Bände, das größere Grün einer Mappe: alles stimmt, gilt, nimmt teil und bildet eine Vollzähligkeit, in der nichts fehlt.

Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910)